Jeanne Hermann
Generelle Informationen:
Blue Lust ist ein Manga, deshalb sollte wohl zuerst die Frage geklärt werden, was ein Manga überhaupt ist. Als Manga werden japanische Comics bezeichnet. Sie unterscheiden sich durch den Zeichenstil und die Art und Weise des Lesens von den westlichen Comics. Ein Manga wird von hinten nach vorne gelesen. Also von rechts nach links, die Seiten werden ebenfalls so gelesen. Man fängt rechts oben an und liest nach links unten. Mangas gewinnen weltweit immer mehr Aufmerksamkeit.
Um wieder zum eigentlichen Thema zurückzukehren, Blue Lust ist eine Trilogie und wurde von der Mangaka (Manga-Autor:in) Hinako geschrieben und illustriert. Übersetzt haben Etsuko Tabuchi und Florian Weitschies.
Die Mangaka* wusste zu Beginn nicht, wie sie ihr Werk nennen sollte, aber sie hatte den Titel „Aijo“ im Kopf, was übersetzt so viel wie „Traurigkeit“ heißt. Auch wenn sie diesen Titel dann doch nicht gewählt hat, sagt dieser erste Titelentwurf dennoch etwas über die Themen und Inhalte des Mangas aus.
Blue Lust lässt sich dem Manga-Genre BL zuteilen, was so viel wie Boys Love heißt. Es ist eine traurige und dramatische Liebesgeschichte unter Jungen.
Zusammenfassung:
Hayato sieht seinen Mitschüler Soma am Geländer des Schuldaches in einer gefährlichen Situation. In der Vergangenheit hatte Hayato einen Freund, der wegen seiner sexuellen Orientierung zum Mobbingopfer wurde. Sofort erfasst er die Situation, und sein Beschützerinstinkt springt an. Hayato hilft Soma in seiner Klasse zurechtzukommen und Freunde zu finden. Wie wird sich die Beziehung der beiden weiterentwickeln?
Mit diesem Einstieg werden die Leser:Innen sofort vom Geschehen mitgerissen, und auch im weiteren Verlauf lässt einen die Handlung nicht los.
Sprachlicher Ausdruck:
Da es eher ein Buch für Jugendliche ist, ist die Sprache locker und entspricht eher der Umgangssprache. Natürlich sind die höfliche Zurückhaltung und Distanz, die als typisch für die japanische Kultur gelten, noch bemerkbar. Wenn man aber nicht aktiv darauf achtet, fällt dies nur am Anfang eventuell auf. Auch sonst werden teilweise japanische Umgangsformen, wie der Umgang mit Namen, verwendet, sowie vereinzelt japanische Begriffe. In einem solchen Fall gibt es aber immer Fußnoten.
Durch die Übersetzung aus dem Japanischen sind sicher auch ein paar Sachen weggelassen worden, die das Lesen in der deutschen Sprache nur verkompliziert hätten. Beispielsweise werden in Japan, im formellen Umfeld, alle mit dem Nachnamen zuerst und dann dem Vornamen angesprochen.
Warum dieses Buch?
Für mich persönlich sind die Bücher der Blue-Lust-Reihe etwas Besonderes, da es die ersten Mangas waren, die ich mir selbst gekauft habe. Aber nicht nur aus diesem Grund habe ich sie für diesen Blog ausgewählt. Etwas Untypisches für dieses Genre ist, dass auch Themen wie die jugendliche Identitätsentwicklung, Suizid und Selbstakzeptanz angesprochen werden. Doch genau das geschieht in Blue Lust. Wer bin ich? Diese Fragen stellen sich die Figuren.
Außerdem gibt es eine Besonderheit, die mich sehr fasziniert hat. Ich habe bisher in den wenigsten Mangas etwas Ähnliches gesehen. Es gibt in jedem Band eine Doppelseite mit Fotos der Mangaseiten während des Zeichenprozesses. Das bedeutet, man sieht die Skizzen vor dem Inking, es sind zu diesem Zeitpunkt noch Bleistiftskizzen. Dadurch wird einem klar, wie viel Arbeit investiert wurde. Nicht nur in diesen Manga, sondern wie viel Zeit die Mangaka überhaupt investiert hat, um so illustrieren zu können.
Die wenigsten verschwenden während des Lesens einen Gedanken daran, wie die Bilder eigentlich gemacht werden. Nicht viele betrachten eine Seite und bemerken oder fragen sich, ob der:die Mangaka vielleicht Probleme mit der Pose der Figuren hatte, wieso die Schattierung bei dem Lichteinfall so natürlich aussieht und dass schon ein winziges Stirnrunzeln einem Gesicht einen völlig anderen Ausdruck verleiht. Nur durch eine Doppelseite mit Skizzen wird den meisten wohl genau das klar werden. Viele werden realisieren, dass hinter den Bildern, die sie sich im Manga so selbstverständlich ansehen, noch jemand ist, der sie auch zeichnet. Das ist ein ganz besonders Gefühl.
Meinung und Fazit:
Als ich das Cover das erste Mal in einem Heftchen mit Leseproben sah, fand ich es sehr ansprechend. Alles passt zusammen, die kälteren Farben und die schlichte Schrift betonen die traurigen Augen von Hayato sehr anschaulich. Spätestens nachdem ich den Klappentext gelesen hatte, war mein Interesse geweckt und ich wurde nicht enttäuscht.
Hinter den Figuren steckt mehr, als man erwartet. Zudem hat die Geschichte weit mehr Tiefe, als man sich zu Beginn ausdenken könnte. Die Konstellation der Figuren nimmt im Laufe der Reihe eine überraschende Wende, die einerseits völlig aus dem Nichts kommt, aber andererseits auch unbewusst erhofft worden ist. Die Entwicklung von Soma geht leider etwas schnell voran, dafür bekommen die Leser:Innen aber sehr viel Einblick in Hayato, der einen großen Wandel erlebt. Er verändert sich bis zum Schluss und reift emotional ausgesprochen stark. Zudem gibt es eine weitere Figur, die in der Handlung des zweiten Bandes zu Hayato und Soma stößt.
Um unschönes Spoilern zu verhindern, gehen wir jetzt zu den Illustrationen über.
Sie sind leicht zu verstehen und sauber gezeichnet. An den meisten Stellen wurden die Emotionen gut dargestellt, trotzdem, auch wenn es eher die Seltenheit ist, wirken die Gesichtsausdrücke manchmal emotionslos und steinern. Die Hintergründe hätten ebenfalls besser ausgearbeitet werden können, sind aber ganz in Ordnung und fallen mit ihrer Unauffälligkeit eigentlich kaum auf.
Die Übersetzung ist gut ausgearbeitet und an den richtigen Stellen fröhlicher oder ruhiger.
Fies sind die Cuts, nach einem Band. Nachdem ich den ersten fertiggelesen hatte, wollte ich sofort den zweiten haben und weiterlesen. Aber im Nachhinein fällt auf, dass es, vor allem Richtung Ende, ein paar Stellen gibt, die unnötig sind und die Geschichte nur komplizierter machen.
Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass dieser Manga auf emotionaler Ebene sehr ausgereift ist - für das erste richtige Projekt der Autorin. Es ist eine sehr ruhige Boys Love - und relativ gut geeignet für Leute, die noch nie etwas aus diesem Genre gelesen haben.
*Das Geschlecht von Hinako ist unbekannt, da aber der Name ein japanischer Name für Frauen ist, werden die weiblichen Pronomen verwendet.
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